Wenn einer auf die Reise geht, dann kann er was erzählen. So geht es uns auch, wenn wir mit unserer Kohte auf Fahrt gehen. Die Schwarzzelte sind oft der Rahmen für unvergessliche Erlebnisse.
Gerne kannst auch du uns von deinen Erlebnissen mit Kohten und Jurten in Bild und Text berichten. Gute Geschichten und gute Bilder bringen wir gerne auf Jurtenland unter und lassen damit ein großes Publikum an deinen Erfahrungen und Abteuern teilhaben. Mail uns einfach unter info@jurtenland.de [1]
Eine Geschichte von Dan Richter [5]
...welche vor allem gut beschreibt, wie die Pfadfinder selbst und auch ihre Schwarzzelte manchmal auf ihre Umgebung wirken. Wir finden: Sehr lesenswert! Und sehr liebenswert!
Manchmal werde ich gefragt, ob ich nicht auch mal ohne Bezahlung auftreten mag. Wenn mich die Sache interessiert und der Betreffende nicht im zweiten Satz die Jokerfrage hinterherschiebt, ob man davon leben könne, geschieht es sogar manchmal, dass ich zusage. Die Pfadfinder wollen ihr großes Jahrestreffen 2005 mit Literatur aufhübschen. Sie fragen Ahne, ob er was vorlesen will. Er will, mag aber nicht alleine fahren. Also darf ich ihn begleiten. Pfadfinder! Eine frühere potentielle Bettgefährtin hatte ich mal mit der Frage abgeschreckt, ob Pfadfinder nicht so was wie West-Jungpioniere seien. Es galt also vorsichtig zu sein mit vorschnellen Vergleichen. Auf der Fahrt nach Wolfsburg vertrödeln Ahne und ich uns die Zeit mit Spekulationen über das Pfadfinderleben. Ahne vermutet, sie seien in Wirklichkeit eine kirchliche Tarnorganisation, weil er mal eine schwedische Pfadfinderin kannte, die an den lieben Gott glaubte. Ich bin skeptisch: „Ich glaube, die haben nichts mit der Kirche zu tun.“ „Ich glaube doch.“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein.“ „Doch.“ Wir sind so hartnäckige Diskutierer, dass am Ende jeder die Meinung des anderen vertritt.
Der Bahnhof von Wolfsburg ist fast leer. Aber da steht ja auch schon eine nette Dame, die uns abholen will. Sie hört gar nicht auf, uns zuzuwinken. In der Hand hält sie ein in Geschenkpapier gewickeltes Päckchen. „Das ist dann bestimmt für Ahne“, denke ich neidisch. Wir gehen auf sie zu, und gerade, als ich ihr noch vor Ahne das Geschenk entreißen will, rast ein kleines Kind an uns vorbei, umarmt die Dame und bekommt das Päckchen. Ahne guckt neidisch.
In der Bahnhofsvorhalle erkennen wir unser doppelköpfiges Abholteam an der typischen Kleidung und dem Pioniert..., ähh Tuch. Die Frau winkt uns zu, der Mann hält in der Hand ein in Alufolie gewickeltes Päckchen, das aber nicht für uns bestimmt ist, sondern für ihn selbst. Er beißt immer wieder rein, und das Döner-Aroma, das von ihm ausgeht, wird nicht geringer, als sie uns mit dem Auto ins Lager fahren.
Man gibt uns zu verstehen, dass wir gemeinsam mit Kleinstkindern, deren Aufpassern und den technischen Leitern in der privilegierten Zone übernachten dürfen, die sich im Wesentlichen dadurch auszeichnet, dass man sein Essen nicht selber kochen muss. Alle haben professionell aufgebaute Zelte. Außer Dan und Ahne. Bei denen schlabbert die Plane. Ahnes Prophezeiung, dass Pfadfinder ja mit der Natur leben und deshalb früh schlafen gehen und deshalb wiederum die Lesung spätestens um Acht beginnt erweist sich als falsch.
Pfadfinder sind Nachttiere. Wir sollen frühestens 0.00 Uhr beginnen. Wir werden als Poetry Slam angekündigt. Seltsam. Ich dachte immer Poetry Slam heißt Rezitatorenwettstreit. Wenn Ahne und ich gegeneinander antreten sollen, dürfte das ein kurzer Abend werden. Aber nein, sie meinen die Stilrichtung, wie wir erkennen, als wir vom Alibi-Coolen angehey-joht werden: „Was geht?“ „Was?“ „Was geht ab, Man?“ „Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht.“ „Ihr slammt heute?“ „Na, wir lesen vor.“ „Cool, keep it real, Alder.“ Ja, das werden wir wohl versuchen. Dazu müssen wir nur dieses Scheingespräch abbrechen.
Wir erhalten eine kleine Führung durchs Lager und mir schlackern die Ohren von all dem Insiderjargon. Meuten, Stämme, Sippen, Führer, Jurten, Kohten. Kohten? Ich halte es zunächst für eine unappetitliche Angelegenheit, bis sie uns erklären, dass es ihre seltsamen Zelte sind, in denen man Lagerfeuer anzünden kann, ohne zu ersticken.
Die Uniformen, die Fähnchen, die seltsamen Rituale – man kann sich seiner HJ-Assoziationen nicht erwehren. Irgendwie schrecke ich jedes Mal zurück, und doch ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass es mir hier als Kind mehr Spaß gemacht hätte, als im Betriebsferienlager. Nicht etwa, weil das damals zu politisch gewesen sei, vielmehr beeindruckt mich der freundliche Umgang der Kinder untereinander. Bei uns war immer der Kleinere, der mit der dicksten Brille oder der mit dem komischen Bauchnabel generell zum Verkloppen freigegeben.
Das Singen, das gemeinsam Kochen, das In-einem-Zelt-Schlafen, der Umstand dass niemand zum Fußballspielen gezwungen wird, all das hätte mir damals wohl die Pfadfinder sehr attraktiv gemacht. Allerdings muss man hier praktisch alles selber basteln und selber bauen, damit hätten sie mich damals verjagt und tun es quasi auch heute. Ich sehe, dass es keine Zeltstangen gibt, stattdessen werden schmale Baumstämme benutzt. Nicht ohne Stolz erklärt uns unser Führer, allein für dieses Lager seien 6.000 Bäume gefällt worden. „Mit Natur habt ihr wohl nicht so viel am Hut“, wirft Ahne ein. Unser Führer überhört die Provokation.
Der Auftritt rückt näher. Ahne muss noch mal raus zum Pissen. „Willst du die Taschenlampe?“ „Nein.“ „Aber sonst trittst du womöglich in den Schlamm.“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein.“ Wir sind kaum fertig mit der Lesung, als ein Junge mit Gitarre, Noten und Notenständer das Zelt betritt. Der Notenständer lebt. Es ist seine Freundin. Er zählt ein: „Eins zwei drei“, und beginnt ein Lied, in das alle einstimmen. Ein volkstümlich anmutender Song, in dem es irgendwie um freie Kosaken geht.
Die nächsten 20 Lieder, in von Freiheit, fahrend Leut, bündisch Volk und immer mal wieder um Kosaken handeln, kenne ich auch nicht. Komischerweise haben sie alle denselben johlend-besserwisserischen Liedermacherton drauf. Da ich die Lieder nicht kenne, vermute ich, dass sie aus Pfadfinderliederbücher stammen. Das ist bestimmt auch noch eine Marktlücke. In Gedanken erstelle ich ein Inhaltsverzeichnis für ein von mir zu schreibendes Pfadfinderliederbuch: - Lied vom fahrend Volk - Wir finstren Kosaken - Kommet mit oder fahrt zum Teufel - Starke Hand und freies Land - Es zieht ein Vogelschwarm mit mir - Fasset zu Gesellen - Katja, du Kosakenbraut - Mein Pferd ist freier als Kosaken sind - Singe tüchtig, Brüderlein - Morgen ist’s, das Ränzlein wird geschnüret. - Warum wir keine Zeltstangen brauchen, sondern lieber Bäume fällen.
Ahne glaubt, nun die Pfadfinder verstanden zu haben – sie stehen in der Kosakentradition. Ich bezweifle das, „Kosake“ steht, so glaube ich, bei denen für irgendeine diffuse Sehnsucht, so wie der Italiener im Liedgut der BRD der 50er Jahre. Aber Ahne lässt sich seine Kosakentheorie nicht ausreden: „Doch.“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein.“
Ich gehe schlafen, und wache nach vier Stunden vor Kälte wieder auf. Immerhin – es gibt schon Frühstück und ein warmes kaffeehaltiges Getränk, was sie hier komischerweise „Kaffee“ nennen. Ich frage in der Küche nach einem Teller. Die Antwort erteilt mir eine Frau, die hier, wie ich später erfahre, von allen nur „Drachen-Saskia“ genannt wird, und von der ich mir ziemlich sicher bin, dass sie trotz ihres hessischen Akzents ihre berufliche Sozialisation in der brandenburgischen Gastronomie durchlaufen haben muss: „Teller? Musste dir selber mitbringen.“ „Das wusste ich aber nicht. Ich bin hier nur zu Gast.“ „Die Teller hier haben Schwindsucht, wenn ich dir da einen gebe, dann kommen die anderen auch, und dann ist hier alles weg.“ Ich frage mich, wer „dann auch kommen soll“ und bin versucht, ihr pampig zu kommen, lege dann aber all meinen Charme in meine zen-buddistische Stimme, die versucht, den Gegner mit Liebe zu überrumpeln: „Du kennst dich doch sicherlich aus. Was kann ich da tun?“ „Na, dann nimmst du eben meinen Teller.“
Die beiden Abwäscher, die bisher nur schweigend abwuschen, halten inne und starren Saskia verdutzt an – so viel Liebenswürdigkeit haben sie noch nie von ihr gehört. Sie scheint es zu bemerken, und relativiert sich gleich: „Aber ein Brotschmiermesser haste dann immer noch nicht.“ „Stimmt. Willst du mir deins borgen?“ Aber Saskia hat ihr Großzügigkeitskonto für die nächsten 4 Monate schon gründlich überzogen, also schickt sie mich fort: „Aber nicht die Buttermesser benutzen! Die sind nur für die Butter gedacht.“
Ich belade mir den Teller mit Nutella, Käse, Brötchen und Marmelade und beschmiere alles schön mit dem Buttermesser. Danke für den Tip. Dann gehe ich spazieren. An der Müllecke stehen drei Kinder mit riesigen Mülltüten. Die Müllecke macht aber leider erst in drei Stunden auf. Was tun? Zurücktragen, meint die Neunjährige. Warten, meint der Fünfjährige, der Siebenjährige schweigt. „Wenn wir warten, dann sitzen wir hier ja drei Stunden herum.“ „Das kann sein, aber ich empfinde es zu anstrengend, den Müllsack wieder zurückzutragen, schon das Hertragen hat mir ordentliche Mühe bereitet.“
Ich überlege, wie wir in dem Alter einen solchen Konflikt diskutiert hätten: „Scheiße, Mann, jetzt ist zu.“ „Jehn wa zurück.“ „Bist du bescheuert? Ick latsch do nich den janzen Weg mit den Müll zurück.“ „Bist du n Schlappi oder wat?“ „Du krist wat uff die Schnauze.“ Oder mit Ahne: „Bringen wir den Müll wieder zurück?“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein.“
Vor der Abreise brät ein netter Mann für Ahne noch Bratkartoffeln. Vermutlich hat seine Bratpfanne einen Durchmesser von 3 Zentimetern, denn die Prozedur dauert eine Stunde. Auf der Rückfahrt interviewt Ahne noch mal unsere Gastgeber: „Es kann doch kein Zufall sein, dass alle Pfadfinderzelte schwarz sind.“ „Das ist Tradition.“ „Aber warum?“ „Na, das wiederum ist Zufall. Der Pfadfinderzelt-Erfinder hat damals billig schwarze Stoffbahnen gekauft.“ „Aber warum ausgerechnet schwarz?“ „Ich weiß nicht.“ „Was ist denn die Symbolik dahinter?“ „Ich weiß nicht.“ „Wegen der Kirche?“ „Nein.“ „Warum dann?“ „Ich weiß nicht.“
Auf der Rückfahrt erzähle ich Ahne noch von einem Radiointerview, das ich neulich gehört hatte, und in dem es darum ging, dass schwarze Kleidung kurioserweise besser vor der Hitze schützt. „Das kann nicht sein.“ „Doch.“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein.“ Wir erreichen Berlin.
Auf der Seite von Dan Richter [5] findest du auch eine gesprochene Version des Textes [6] Wir danken für die Erlaubnis, den Text auf unseren Seiten zu veröffenlichen.
Zugegeben, mit der Jurte auf Fahrt (oder ins Wanderlager) zu gehen ist immer eine Frage des Gewichts. Aber wenn dir 900 Ladekapazität zu Verfügung stehen dann kannst du großzügig einpacken. Unser größtes Gepäckstück ist der Sand. Gleich 600 Tonnen befördert die Sirius verteilt in ihren vier Laderäumen. Wir haben diese Menge Sand eben geschaufelt, gleichmässig verteilt und unsere Jurten drauf gestellt und fahren drei Wochen den Rhein rauf und runter.
Fünfundvierzig Roverinnen und Rover (teils aus Südafrika) leben so auf engem Raum im Zeltlager und sind doch jeden Tag zu neuen Orten unterwegs. Etwas Aufwand war es schon, den Frachter Sirius für die Personenbeförderung zuzulassen und die Wasserschutzpolizei geht in den ersten Tagen auch öfter längsseits. Dann spricht sich doch herum, dass alles rechtens ist und die entsprechenden Behörden nach Umsetzung ihrer Auflagen ihr OK zu dieser Reise auf dem Wasser gegeben haben.
Normalerweise fährt die Sirius nur im Pendelverkehr zwischen Baggersee und Betonwerk. Seit vielen Jahren ist dies ihre erste große Reise und auch der Reeder des Schiffes musste all seinen Mut zusammen nehmen, um uns bei diesem Projekt zu unterstützen. Im Nachhinein bereut er dies nicht, sieht man ihm doch an, dass er am liebsten selbst mitgefahren wären, als wir seinen Heimathafen in Mainz passieren.
Von Mannheim bis Duisburg und zurück geht die Fahrt. Gegen die Strömung manchmal nur noch im Schrittempo. Der viele Sand und die wenigen Jurten fordern am Bingener Loch alles von den 600 PS des Schiffsdiesels. Auf der Brücke ist es spannend. Auch die beiden Schiffer freuen sich über diese ungewöhnliche Tour und schwelgen in alten Erinnerungen auf dem Rhein.
An den Ufern des Rhein erwarten uns viele Bekanntschaften und Entdeckungen. Es wird eine Zeit mit viel Zeit, Ruhe und Gelassenheit, die wir nicht missen wollen. Fast ist es schade, nach den drei Wochen auf dem Fluss die Jurten wieder einzupacken und die Sirius wieder zu einem normalen Kiesfrachter zurück zu bauen...
Am 21. Dezember geht die Sonne am Polarkreis nicht auf. Aber wer glaubt, dass es dort deswegen ein halbes Jahr dunkel ist, der hat von der Polarnacht eine falsche Vorstellung. Als wir das erste Mal aufbrechen, um im winterlichen Lappland zu zelten und zu wandern haben wir auch vor allem an die Taschenlampen gedacht. Und waren sehr verwundert, wie hell es doch wird, wenn die Sonne den ganzen Tag nur um den Horizont herum schleicht.
Bepackt mit schwarzen Jurten- und Kohtenplanen, einer selbstkonstruierten Feuertonne, extrawarmen Schlafsäcken und dem guten Vorsatz nicht zu frieren, brechen wir an Heilig Abend in Richtung Norden aus. Nach vielen Stunden der Fahrt im VW-Bus, auf dem Dach ein Vorrat an trockenem Holz, erreichen wir kurz hinter dem Polarkreis das nordschwedische Städtchen Jokkmokk. Es ist acht Uhr morgens, der Himmel dämmert, wie bei uns im Sommer um halb sechs und es hat 35 Grad unter Null. Der Bus stöhnt und knirscht in allen Ecken, so sehr kriecht die Kälte durch den Kunststoff und uns auch langsam in die langen Unterhosen.
Recht bald finden wir ein nettes Plätzchen am Waldrand, um unsere Jurte als Basiscamp aufzustellen. Es liegt etwa ein Meter lockerer Schee, welchen wir mit großen Schaufeln zur Seite räumen. Die Jurte bauen wir in einer etwas kleineren Variante mit nur 5 Kohtenblättern und mit halber Seitenwandhöhe auf. Davon versprechen wir uns, weniger Luft anheizen zu müssen.
Der erste kalte Tag schwindet schnell wieder dahin, nur pünktlich um zwölf Uhr Mittags spickt die Sonne mit zwei, drei Strahlen über den Horizont, nur um drei Minuten später wieder zu verschwinden. Abends steht das Zelt und ist eingerichtet, das Feuer in der Tonne brennt und wir bereiten aus gefrorenen Utensilien unser Abendessen zu.
Eine ganze Woche werden wir hier campieren, der Kälte trotzen und den Winter in Lappland entdecken. Obwohl die Welt in eintönigem Weiß verschwunden ist, bringt jeder Tag neues zum Vorschein. Sei es, ob wir in der Natur unterwegs sind, oder das Leben in Schwedens Norden direkt in Jokkmokk erkunden.
Da wir unweit von vereinzelten Anwesen zelten bleibt unsere Anwesenheit natürlich nicht verborgen und wir bekommen ab und an Besuch, den wir auch gerne in unsere Jurte zu einem gemütlichen Tee mit Rum einladen. So erfahren wir auch ein bisschen etwas über Land und Leute. Je länger wir da sind, umso mehr kehrt auch die Ruhe der Landschaft in uns ein. Der Tagesrhythmus aus Entdecken, Holz suchen und hacken, Kochen am Lagerfeuer und rauchigen Abenden und Nächte in der Jurte spielt sich ein.
Viel zu schnell ist die geplante Woche um und wir denken an den Aufbruch. Die Jurte ist total vereist und lässt sich nur schwer verpacken. Ähnlich ist es mit allem, was wir dabei haben und so beschliessen wir noch eine Nacht zum Aufwärmen in einem gemütlichen Hüttencamp zu verbringen. Ausser uns verbringen dort junge Schweden ihren Winterurlaub mit Eislochfischen, Schneescooterfahren und Saunieren.
Inzwischen ist die Sylvesternacht hereingebrochen. Übers Telephon geben wir sogar dem heimischen Radion ein Interview über das Leben in der Polarnacht und feiern mit den Schweden in behaglicher Wärme in das neue Jahr hinein, welches uns auch schon wieder zur Heimreise drängt.
Hinter uns liegt eine Woche im Freien bei fast Minus Vierzig Grad. Hinter uns liegt eine sagenumwobene Landschaft im Winterschlaf. Und als wir Stunde um Stunde wieder der Heimat näher rücken ist uns gewiss, dass dies nicht die letzte Fahrt in den schwedischen Winter war. Das nächste Mal würden wir mit dem Rucksack kommen und durch die Nationalparks wandern.
Was haben der Förster, sein Schäferhund, sein Mitarbeiter und dessen Knüppel sowie die zwei Polizisten in dünnen Jacken und leichten Schuhen wohl erwartet, als sie nach einer Stunde durch tiefen Schnee endlich vor unserer Jurte standen? Ihr aufgestauter Unmut weicht zusehends einem ungläubigen Staunen.
Wir sind hoch oben auf einem der Gipfel im Nordschwarzwald und haben unsere Jurte mit zwei Kohten als Satelliten aufgebaut. Vom Parkplatz her ist es fast eine Stunde zu Fuss durch den knietiefen Neuschnee zu unserem Lagerplatz. Dreimal sind wir den Weg hin und zurück gestapft, mit schweren Lasten auf dem Rücken. Kohten und Jurten, Gestänge und Feuertonne, Brennholz und Lebensmittel, alles tragen wir auf dem Rücken mittels den Tragegestellen von alten Rucksäcken den verschneiten Berg hinauf.
Der Förster ist entrüstet. Wir befänden uns mitten im Landschaftsschutzgebiet. Eigentlich nicht verwunderlich, denn es ist fast zu idyllisch auf der winterlichen Hochebene. Was wir uns denn nur gedacht hätten? Schon so einiges, er kann sich gerne unsere Feuerstelle im mitgebrachten Fass ansehen. Und den Haufen importierten Brennholz. Ob die Herren denn gerne einen warmen Tee hätten, wo es doch trotz der Sonne weit unter Null grad hat und die beiden Polizisten in ihrer leichten Bekleidung und den sicherlich nassen Füßen sichtlich kalt ist.
So ginge das nicht, wir müßten wieder gehen, meint der Förster. Die Polizisten nehmen unsere Personalien auf und mustern neugierig unseren Lagerplatz, der glücklicherweise sehr aufgeräumt und ordentlich wirkt. So ginge das wirklich nicht, meinen wir. All die Sachen kriegen wir heute nicht mehr so ohne weiteres vom Berg herunter. Und da ja schon alles steht, ob es denn nicht reichen würde, wenn wir morgen früh zusammenpacken und uns auf den mehrfachen Rückweg machen.
Na gut, das sei ein guter Kompromiss meint der Förster, aber dass wir ja nur alles sauber und ordentlich zurücklassen, er würde dies kontrollieren und im Zweifelsfall zur Anzeige bringen. Die Polizisten hören nur das Wort "Kompromiss" und rüsten sich schon zum Abmarsch in Richtung ihres warmen Reviers. Bestimmt gibt es dort auch trockene Schuhe. Wir versprechen, alles ordentlich zu verlassen, keinen Schaden anzurichten und im Laufe des morgigen Tages zu verschwinden.
Das hatten wir von Anfang auch so vor und wir haben nicht verraten, dass wir schon zwei wunderschöne Nächte hier verbracht haben, heute abend noch Sylvester feiern möchten und Neujahr wieder zuhause im Warmen sein wollen. Selbstverständlich gab es auch keine Böller um Mitternacht und kein sonstiges Getöse. Vielleicht etwas Gitarre und Gesang, viel heißes Fleischfondue und guten Wein.
Wir hätten dem Förster, seinem Schäferhund, seinem Mitarbeiter mit Knüppel und den beiden Polizisten auch was abgegeben, aber die waren im Dienst und froh wieder ins Warme zu kommen. Ebenfalls verschwiegen haben wir, dass wir auch die beiden Jahre vorher
hier unsere Sylvesternacht in der Jurte verbracht haben. Mal mit und mal
ohne Schnee, immer in grimmiger Kälte.
Aber falls einer der vier diesen Artikel mal lesen und sich an diese kühle Begegnung vor Jahren erinnern wird, so bitten wir um Entschuldigung. Wir haben stets in bester Absicht gehandelt, der Natur keinen Schaden zuzufügen und nichts zu hinterlassen. Es sind schöne Erinnerungen an eine schützenswerte Landschaft, die wir in uns tragen und die uns sicherlich mehr anspornen, diese Schöpfung zu bewahren, als wenn wir davon auf Lehrtafeln erfahren.
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